Schilfpalast 23.11.
Hier ist ein Lied gewidmet nicht den vielen
Ein Lied den von der Masse Zugedeckten
Und von den großen, blütenlosen Stielen
In ihrem kleinen Blühen arg Versteckten.
Nicht jenen Samen, die da oben fliegen.
Ein Lied den letzten, die in leerem Garten
Am Löwenzahn dem Wind nicht unterliegen
Und auf das Pusten eines Kindes warten.
Ein Lied, das auch in schweigenden Bezirken
Den einen Mund noch findet, der es sänge:
Geheim im Düster-Laub der Eichen, Birken
Getarnt als frühlingshafte Blätter-Klänge.
Wo Kleidersäume Kiesel achtlos streifen
In denen Funkelndes doch schlummert, scheine
Aus ihrem Grau, du musst dies Lied nur pfeifen
Ein Kiesweg ungeschliffner Edelsteine.
Hier stießt du auf geheime Pergamente:
Darum die Bilderrahmen palisandern
Darauf kein Glas, das dich von ihnen trennte
Darin ein Lied für dich und keinen andern.
TRAUMVERWANDT
Von dem, wofür man einst im Traum-Gewerbe
Nie einen Pächter fand – nie einen Käufer
Bist du nun wohl der mittägliche Erbe
Und bist bei hellem Tag ganz Sternen-Läufer.
Das Niedergehen ganzer Stern-Geschlechter
Bezeugt nicht eine irdische Bekanntschaft
Du aber bist fortan ihr Leichen-Wächter
In unerklärlich tiefer Traum-Verwandtschaft.
Durch Nebelschwaden ferner Galaxien
Die Träume oft an deine Wimpern zurrten
Entfesselst du mit sanftestem Verziehen
Der Augenlider Kraft für Stern-Geburten.
Wohl jenem Vers, den deine Augen lesen
Vor dem sich deine Wimpern einmal ducken
Der an den fernen Himmeln rührt – gewesen
Ist er ein glutentbranntes Himmels-Zucken.
TRAUMERHABEN
Sie steigt nun von der Erde traum-erhaben
Empor und liest von oben aus der Chronik
Des Sternenvolks und schlürft aus Wolken-Waben
Im Schlaf den fremden, träumerischen Honig.
Und saßen auch erträumte Diamanten
In unser aller Augen – nach der Schleifung
Durch nüchternes Erwachen aber brannten
Nur ihre noch in wilder Licht-Ergreifung.
Die morgendlichen Blumenmädchen freuen
Sich schon auf allen Traum-Beerdigungen
Nur helle, weiße Blumen auszustreuen
Bloß: jene duften nicht in Träumer-Lungen.
Sie aber zieht am Tag in dunklen Lücken
Die dunklen Blumen mit dem dunklen Nektar
Vermisst bei süßen, triumphalen Schlücken
Das Blau bis auf den letzten Himmels-Hektar.
TRAUMGETREU
Im Schatten mondgetränkter Silber-Pflanzen
Liegt jener Ort, wo wir zum Welt-Entfliehen
Die alten Sternen-Choreographien
Beim Schimmer neuer Nacht auch neu vertanzen.
Anstatt der Früchte fädeln ferne Lichter
Auf das Geäst die dunklen Edelsteine
Und von da oben hängen sie alleine
In unsre müden, nächtlichen Gesichter.
Von großen traumgewachsenen Opalen
Tropft süßer Schlaf in bunten Sehnsuchts-Bildern
Auf Augen, ihren Sonnen-Schmerz zu mildern
Wie auch die untertags erblickten Qualen.
In ihrer funkelnd hellen Hundertfachheit
Gewähren Edelsteine süße Blendung
Und hierdurch ungeheuerliche Wendung:
Denn fort träumt sich der Traum in unsrer Wachheit.
Ein Morgen senkt sich ohne Traum-Verbrennen
Und ohne Sonnenlicht auf uns hernieder
Wo Träumeraugen keine Augenlider
Von traumgetreuer Wirklichkeit mehr trennen.
SAGT ES NICHT
Wir schickten unlängst wortereiche Kähne
Zurück in heimatlichen Schweige-Hafen
Und sahn am Ufer ruhend alle Schwäne
Nach dieser wie nach jeder Fahrt: nur schlafen.
Wir wollten doch in einem ihrer Schnäbel
Aus jedem Wunderwort ein Ding gebären
Sodass die stumm gekreuzten Wächtersäbel
Sich senken und wir eingelassen wären.
Ganz eingelassen in das Ungesagte
Erhofften unsre Träume sich als sagbar
Doch eh ich einen Schwan zu wecken wagte
Schien unser Wort auf ihn nicht übertragbar:
Durch eine träumerische Flügelregung
Beendete er schlafend unser Werben.
(Setzt euer Wort durch mich nicht in Bewegung
Sonst muss ich und der Traum in mir ersterben!)
PROPHEZEIUNG
Inmitten seegras-grüner Augen wandre
Ich unbeschwert und fädle Perlenketten
Tauch zwinkernd mal ins eine, mal ins andre
Hinein wie zwischen zwei Lagunenstädten.
Und Perlen sind all ihre scheuen Blicke
Die ich nach oben tauche und indessen
Nicht eine jener zarten Algen knicke
Die überm Grund sich eng zusammenpressen.
Wo neben mir sich weitre Augen-Schwimmer
Um Einlass in die Wellen zahlreich balgen
Strahlt mir wie allen andren welker Schimmer
Nach einer Weile durch verkrümmte Algen.
Einst schwamm ich unbeirrt durch die Lagunen
Bis nun die Algen welkend sich entzweien.
Darunter steht in tiefen Tempelrunen:
Ich sei nicht jener, den sie prophezeien.
Und ist mein Aug vom Meersalz auch geschwollen
So ist es dies vom Tränensalz nicht minder
Und alle ihre bunten Perlen rollen
Zurück ins Meer – ich sei noch nicht ihr Finder.
DIE ZWEIFEL DES DICHTERS
Wohl gibt es Münder, die in hohem Tone
Auch das Geringste noch beim Namen nennen
Und manche wieder können lächeln ohne
Ein Wort zu lieben – für ein Wort zu brennen.
Und manche freilich müssen nicht betonen
Was sie bewegt und können es schlicht säuseln
Mit Worten, die wie leichte Anemonen
Auf ihren Lippen nebenher sich kräuseln.
Verachtung spürtest du wohl für ihr sachtes
Gesäusel, fragtest dich so oft dies eine:
Wie klein und schmal und dünn ist ihr Gedachtes
Dass es sie nicht zerreißt wie dich das deine?
Du zürntest oft dem leichtfertig Gesagten
Und batest für die Redner um Verzeihung
Vor Göttern, die zu künden keinem wagten
Als dir – nur dir – in abgeschiedner Weihung.
Hat dich die Welt verstoßen oder hast du
Den Welt-Bezug in dir bloß abgetötet
Um ihm nun einsam nachzusehnen – fasst du
Die Flöte oder hat man dir geflötet?
AHNUNG
Am bunten Astwerk proben oft die Früchte
Gerührt vom Wind die Festheit ihrer Bindung
Bevor sie aber niedergehen, flüchte
Ich noch inmitten ihrer goldnen Schwindung.
Denn Morgen wird sich das erfüllen, dessen
Vermutung mich schon tiefen Qualen aussetzt
Und zu den darauffolgenden Exzessen
Doch als Erfüller mich allein voraussetzt.
In träumerischer, tief versteckter Reifung
Gedieh es unter fremden Sternenzelten
Und sorgt schon bald für wütende Versteifung
Der Finger um die Steine, die mir gelten.
Worauf die Menge, die mich morgen steinigt
In einzigartiger Zusammenschweißung
Durch Wut und Angst sich letzten Endes einigt:
Dies Leben, war es einst nicht voll Verheißung?
DER EINE HALM
Ich ahne, Frühling, dichte Blumenmassen.
Kannst du denn aber nicht dein ganzes Blühen
Im Blätter-Lispeln eines Zweiges fassen
Sag, durch den Schwenk bloß eines Halms versprühen?
Kann sich dein Traum von Winter-Überwindung
Dein flocken-stummer Traum von Farbidyllen
Und süßer Ganzheit nicht schon in der Bindung
Des ersten Blatts an einen Halm erfüllen?
Wieso mit Wurzelwerk nach tiefrer Bläue
Sich strecken, statt durch zarten Maienregen
Den Farbendurst ganz mäßigend ins scheue
Gewanke eines Blatts hinein zu legen?
Zu finden bist du Frühling nicht zersplittert
In tausend stumme Halme ohne Mundstück.
Man hört dich, wo die Kinderlippe zittert
Im Schilfpalast auf seltnem Blüten-Fundstück.
Dort saßen wir und Halme waren Flöten
Wir spielten nach der Reihe traum-geständig
Und alle später tot gebornen Föten
Der Träume regten sich noch quicklebendig.
TOTENLIED
Nun deckt mich zu, doch nicht mit Erdenkrumen
Stattdessen mit den Astern, Chrysanthemen
Hortensien und auch den fahlen Blumen
Die nur verträumte Kinder mit sich nehmen.
Streut ungezielt, streut wie aus Kinderhänden
Die Blumen, ohne sie herabzuzwingen.
Nun sollen meine letzten Träume enden
Als Blumendinge unter Blumendingen.
Ich bin am Duft der Welt vorbeigestiegen
Vorbei am Grün, vorbei an den Kurkumen
Hinab dorthin wo alle Toten liegen
Und alle flüstern: Liebe – Kindheit – Blumen.
Und hätte ich das erste und das zweite
Erfahren nie, erführe ich es nimmer
Von allen bunten Blumen aber breite
Man über mir den letzten Erden-Schimmer.
Im letzten Raum des Lebens, da ganz hinten
Wär dies das Grab, das ich mir kühn ersänne.
Streut Blumen: Rosen, Tulpen, Hyazinthen
Und alle, deren Namen ich nicht kenne.