Nicolas Golfidis

Schilfpalast 23.11.


Hier ist ein Lied gewidmet nicht den vielen

Ein Lied den von der Masse Zugedeckten

Und von den großen, blütenlosen Stielen

In ihrem kleinen Blühen arg Versteckten.


Nicht jenen Samen, die da oben fliegen.

Ein Lied den letzten, die in leerem Garten

Am Löwenzahn dem Wind nicht unterliegen

Und auf das Pusten eines Kindes warten.


Ein Lied, das auch in schweigenden Bezirken

Den einen Mund noch findet, der es sänge:

Geheim im Düster-Laub der Eichen, Birken

Getarnt als frühlingshafte Blätter-Klänge.


Wo Kleidersäume Kiesel achtlos streifen

In denen Funkelndes doch schlummert, scheine

Aus ihrem Grau, du musst dies Lied nur pfeifen

Ein Kiesweg ungeschliffner Edelsteine.


Hier stießt du auf geheime Pergamente:

Darum die Bilderrahmen palisandern

Darauf kein Glas, das dich von ihnen trennte

Darin ein Lied für dich und keinen andern.


TRAUMVERWANDT

Von dem, wofür man einst im Traum-Gewerbe

Nie einen Pächter fand – nie einen Käufer

Bist du nun wohl der mittägliche Erbe

Und bist bei hellem Tag ganz Sternen-Läufer.


Das Niedergehen ganzer Stern-Geschlechter

Bezeugt nicht eine irdische Bekanntschaft

Du aber bist fortan ihr Leichen-Wächter

In unerklärlich tiefer Traum-Verwandtschaft.


Durch Nebelschwaden ferner Galaxien

Die Träume oft an deine Wimpern zurrten

Entfesselst du mit sanftestem Verziehen

Der Augenlider Kraft für Stern-Geburten.


Wohl jenem Vers, den deine Augen lesen

Vor dem sich deine Wimpern einmal ducken

Der an den fernen Himmeln rührt – gewesen

Ist er ein glutentbranntes Himmels-Zucken.


TRAUMERHABEN

Sie steigt nun von der Erde traum-erhaben

Empor und liest von oben aus der Chronik

Des Sternenvolks und schlürft aus Wolken-Waben

Im Schlaf den fremden, träumerischen Honig.


Und saßen auch erträumte Diamanten

In unser aller Augen – nach der Schleifung

Durch nüchternes Erwachen aber brannten

Nur ihre noch in wilder Licht-Ergreifung.


Die morgendlichen Blumenmädchen freuen

Sich schon auf allen Traum-Beerdigungen

Nur helle, weiße Blumen auszustreuen

Bloß: jene duften nicht in Träumer-Lungen.


Sie aber zieht am Tag in dunklen Lücken

Die dunklen Blumen mit dem dunklen Nektar

Vermisst bei süßen, triumphalen Schlücken

Das Blau bis auf den letzten Himmels-Hektar.


TRAUMGETREU

Im Schatten mondgetränkter Silber-Pflanzen

Liegt jener Ort, wo wir zum Welt-Entfliehen

Die alten Sternen-Choreographien

Beim Schimmer neuer Nacht auch neu vertanzen.


Anstatt der Früchte fädeln ferne Lichter

Auf das Geäst die dunklen Edelsteine

Und von da oben hängen sie alleine

In unsre müden, nächtlichen Gesichter.


Von großen traumgewachsenen Opalen

Tropft süßer Schlaf in bunten Sehnsuchts-Bildern

Auf Augen, ihren Sonnen-Schmerz zu mildern

Wie auch die untertags erblickten Qualen.


In ihrer funkelnd hellen Hundertfachheit

Gewähren Edelsteine süße Blendung

Und hierdurch ungeheuerliche Wendung:

Denn fort träumt sich der Traum in unsrer Wachheit.


Ein Morgen senkt sich ohne Traum-Verbrennen

Und ohne Sonnenlicht auf uns hernieder

Wo Träumeraugen keine Augenlider

Von traumgetreuer Wirklichkeit mehr trennen.


SAGT ES NICHT

Wir schickten unlängst wortereiche Kähne

Zurück in heimatlichen Schweige-Hafen

Und sahn am Ufer ruhend alle Schwäne

Nach dieser wie nach jeder Fahrt: nur schlafen.


Wir wollten doch in einem ihrer Schnäbel

Aus jedem Wunderwort ein Ding gebären

Sodass die stumm gekreuzten Wächtersäbel

Sich senken und wir eingelassen wären.


Ganz eingelassen in das Ungesagte

Erhofften unsre Träume sich als sagbar

Doch eh ich einen Schwan zu wecken wagte

Schien unser Wort auf ihn nicht übertragbar:


Durch eine träumerische Flügelregung

Beendete er schlafend unser Werben.

(Setzt euer Wort durch mich nicht in Bewegung

Sonst muss ich und der Traum in mir ersterben!)


PROPHEZEIUNG

Inmitten seegras-grüner Augen wandre

Ich unbeschwert und fädle Perlenketten

Tauch zwinkernd mal ins eine, mal ins andre

Hinein wie zwischen zwei Lagunenstädten.


Und Perlen sind all ihre scheuen Blicke

Die ich nach oben tauche und indessen

Nicht eine jener zarten Algen knicke

Die überm Grund sich eng zusammenpressen.


Wo neben mir sich weitre Augen-Schwimmer

Um Einlass in die Wellen zahlreich balgen

Strahlt mir wie allen andren welker Schimmer

Nach einer Weile durch verkrümmte Algen.


Einst schwamm ich unbeirrt durch die Lagunen

Bis nun die Algen welkend sich entzweien.

Darunter steht in tiefen Tempelrunen:

Ich sei nicht jener, den sie prophezeien.


Und ist mein Aug vom Meersalz auch geschwollen

So ist es dies vom Tränensalz nicht minder

Und alle ihre bunten Perlen rollen

Zurück ins Meer – ich sei noch nicht ihr Finder.


DIE ZWEIFEL DES DICHTERS

Wohl gibt es Münder, die in hohem Tone

Auch das Geringste noch beim Namen nennen

Und manche wieder können lächeln ohne

Ein Wort zu lieben – für ein Wort zu brennen.


Und manche freilich müssen nicht betonen

Was sie bewegt und können es schlicht säuseln

Mit Worten, die wie leichte Anemonen

Auf ihren Lippen nebenher sich kräuseln.


Verachtung spürtest du wohl für ihr sachtes

Gesäusel, fragtest dich so oft dies eine:

Wie klein und schmal und dünn ist ihr Gedachtes

Dass es sie nicht zerreißt wie dich das deine?


Du zürntest oft dem leichtfertig Gesagten

Und batest für die Redner um Verzeihung

Vor Göttern, die zu künden keinem wagten

Als dir – nur dir – in abgeschiedner Weihung.


Hat dich die Welt verstoßen oder hast du

Den Welt-Bezug in dir bloß abgetötet

Um ihm nun einsam nachzusehnen – fasst du

Die Flöte oder hat man dir geflötet?


AHNUNG

Am bunten Astwerk proben oft die Früchte

Gerührt vom Wind die Festheit ihrer Bindung

Bevor sie aber niedergehen, flüchte

Ich noch inmitten ihrer goldnen Schwindung.


Denn Morgen wird sich das erfüllen, dessen

Vermutung mich schon tiefen Qualen aussetzt

Und zu den darauffolgenden Exzessen

Doch als Erfüller mich allein voraussetzt.


In träumerischer, tief versteckter Reifung

Gedieh es unter fremden Sternenzelten

Und sorgt schon bald für wütende Versteifung

Der Finger um die Steine, die mir gelten.


Worauf die Menge, die mich morgen steinigt

In einzigartiger Zusammenschweißung

Durch Wut und Angst sich letzten Endes einigt:

Dies Leben, war es einst nicht voll Verheißung?


DER EINE HALM

Ich ahne, Frühling, dichte Blumenmassen.

Kannst du denn aber nicht dein ganzes Blühen

Im Blätter-Lispeln eines Zweiges fassen

Sag, durch den Schwenk bloß eines Halms versprühen?


Kann sich dein Traum von Winter-Überwindung

Dein flocken-stummer Traum von Farbidyllen

Und süßer Ganzheit nicht schon in der Bindung

Des ersten Blatts an einen Halm erfüllen?


Wieso mit Wurzelwerk nach tiefrer Bläue

Sich strecken, statt durch zarten Maienregen

Den Farbendurst ganz mäßigend ins scheue

Gewanke eines Blatts hinein zu legen?


Zu finden bist du Frühling nicht zersplittert

In tausend stumme Halme ohne Mundstück.

Man hört dich, wo die Kinderlippe zittert

Im Schilfpalast auf seltnem Blüten-Fundstück.


Dort saßen wir und Halme waren Flöten

Wir spielten nach der Reihe traum-geständig

Und alle später tot gebornen Föten

Der Träume regten sich noch quicklebendig.


TOTENLIED

Nun deckt mich zu, doch nicht mit Erdenkrumen

Stattdessen mit den Astern, Chrysanthemen

Hortensien und auch den fahlen Blumen

Die nur verträumte Kinder mit sich nehmen.


Streut ungezielt, streut wie aus Kinderhänden

Die Blumen, ohne sie herabzuzwingen.

Nun sollen meine letzten Träume enden

Als Blumendinge unter Blumendingen.


Ich bin am Duft der Welt vorbeigestiegen

Vorbei am Grün, vorbei an den Kurkumen

Hinab dorthin wo alle Toten liegen

Und alle flüstern: Liebe – Kindheit – Blumen.


Und hätte ich das erste und das zweite

Erfahren nie, erführe ich es nimmer

Von allen bunten Blumen aber breite

Man über mir den letzten Erden-Schimmer.


Im letzten Raum des Lebens, da ganz hinten

Wär dies das Grab, das ich mir kühn ersänne.

Streut Blumen: Rosen, Tulpen, Hyazinthen

Und alle, deren Namen ich nicht kenne.